Sexualerziehung -
Prävention gegen sexuellen Missbrauch

In der heutigen Veranstaltung "Sexualerziehung - Prävention gegen sexuellen Missbrauch" werde ich versuchen, Ihnen gewissermaßen "Bausteine" für eine sinnvolle Präventionsarbeit in der Grundschule vorzustellen.

Seit einigen Jahren erreichen Präventionskonzepte die Aufmerksamkeit von Lehrkräften in der Schule. Es existieren inzwischen verschiedene Unterrichtsmaterialien zur Prävention von Gewalt, Sucht oder sexuellem Missbrauch. Gerade im Bereich des sexuellen Missbrauchs ergab sich in der Praxis häufig die Schwierigkeit, dass Lehrkräfte sich mit Konzepten konfrontiert sahen, die nicht nur Möglichkeiten der Prävention aufzeigten, sondern weit darüber hinaus ihr Engagement als Diagnostiker oder Therapeuten einforderten. Dies war verständlich vor dem Hintergrund der großen Betroffenheit über das Ausmaß eines lange tabuisierten gesellschaftlichen Problems. Inzwischen ist unumstritten, dass Schule - von extremen Ausnahmekonstellationen einmal abgesehen - weder die geeignete Instanz für Diagnose noch für Therapie sein kann. Dies entlässt sie jedoch keineswegs aus der Verantwortung für die Präventionsarbeit. Im Gegenteil, hier kommt Schule eine besondere Bedeutung und Verantwortung schon deshalb zu, weil sie alle Kinder im schulpflichtigen Alter durch die Schulpflicht erreicht. Kinder sollten hier neben Wissensvermittlung auch Lebenshilfe erhalten. Gerade für betroffene Kinder ist Schule oft der einzige soziale Ort, der ihnen Zuflucht bieten kann, weil er dem Zugriff des Täters entzogen ist. Je besser Sie als mögliche Kontakt- oder Vertrauensperson eines Kindes auf eine solche Situation vorbereitet sind, desto eher wird ein betroffenes Kind angemessene Hilfe erwarten und erfahren können.

Präventionsarbeit in der Schule hat somit mehrere Funktionen:

  1. Durch die Auseinandersetzung mit dem Präventionsmaterial und die unterrichtliche Vorbereitung erhalten Sie einen guten Einstiegspunkt, um sich mit dieser, sicherlich schwierigen und belastenden Thematik sowohl psychisch als auch inhaltlich gründlich auseinanderzusetzen.
  2. Durch den Einsatz des Materials vermitteln Sie ihren SchülerInnen Kompetenzen, die sie mittel- bis langfristig befähigen können, sich selbst angemessen gegen Missbrauch besser zu schützen und falls sie dennoch Opfer werden sich Hilfe zu holen und so weitere Folgeschäden zu reduzieren oder zu vermeiden.
  3. Präventionsarbeit darf nie isoliert gesehen werden, sie kann nicht als "Unterrichtseinheit" oder als "Projekt" durchgezogen werden. Prävention sollte vielmehr an eine Haltung gebunden sein, mit der Sie als Lehrkraft dem Kind über den Erziehungsstoff hinaus etwas vermitteln. Eine Erziehungshaltung, die ausdrückt, dass Sie das einzelne Kind als Individuum respektieren, auf seine Grenzen und Gefühle achten und es ernst nehmen. Eine Lehrer-Schüler-Interaktion, die nur durch autoritäre Machtstrukturen funktioniert, bietet sicherlich atmosphärisch keine glaubwürdige Basis für eine sinnvolle Präventionsarbeit. Insofern bietet Präventionsarbeit immer auch die Chance, eingefahrene Verhaltens- und Interaktionsmuster im Klassenzimmer zu hinterfragen und zu modifizieren.
  4. Durch eine glaubwürdige Präventionsarbeit wird den Schülern über den eigentlichen Gegenstand hinaus Handlungskompetenz vermittelt, die sich auf die Entwicklung ihrer Gesamtpersönlichkeit und die soziale Kompetenz positiv auswirken wird.
  5. Schule kann ggf. auch in Kooperation mit anderen Institutionen Eltern kompetent über Präventionsarbeit informieren und Hilfestellung für die außerschulische Präventionsarbeit geben. Hier bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung an.

Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten ergibt sich zwingend, dass Präventionsarbeit keineswegs nur als Teilbereich der Sexualerziehung zu sehen ist. Trotzdem erscheint es sinnvoll, Sexualerziehung als einen Bestandteil der Präventionsarbeit zu begreifen und in den Jahrgangsstufen 3/4 konkret mit in die Präventionsarbeit einzubeziehen. Erst wenn die "Sprachlosigkeit" im Bereich von Sexualität weitgehend aufgehoben ist, ist es möglich, alle Möglichkeiten der Präventionsarbeit auszuschöpfen.

Ich möchte Ihnen nun die anfangs angekündigten "Bausteine" vorstellen, die Ihnen die praktische Umsetzung in den Unterrichtsalltag erleichtern sollen. Dabei habe ich mich der inhaltlichen Gliederung, wie sie in Böhmer/Eggert/Krüger Fühlen - Wahrnehmen - Handeln (Klett-Grundschulverlag 1995) vorgestellt wird, angeschlossen. Hier werden Materialien und Unterrichtsideen nach 8 Unterpunkten strukturiert:

  1. Körperliches Selbstbestimmungsrecht
  2. Gefühle wahrnehmen und mitteilen
  3. Grenzen erkennen
  4. Schöne und bedrückende Geheimnisse
  5. Mit Ängsten umgehen
  6. Hilfe holen
  7. Geschlechtsspezifisches Rollenverhalten
  8. Schuld

Lercher/Derler/Höbel (1995) favorisieren eine 6-stufige Unterteilung wie folgt:

  1. Mein Körper gehört mir
    Wer bin ich?
  2. Intuition
    Gefühle erkennen
  3. Berührungen
    Wer darf das? Wer darf das nicht?
    Körperzonen
  4. Nein sagen
  5. Geheimnisse
  6. Hilfe suchen

Welche inhaltliche Untergliederung möglicher inhaltlicher Aspekte von Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch der einzelne für sein persönliches Unterrichtsmodell auswählt, wird sicherlich auch von der zur Verfügung stehenden Zeit und eigenen Intention abhängen.

Bücher und Materialien, die sich u.a. zum Einsatz in der Schule eignen, entnehmen Sie bitte der Literaturliste.

Nachfolgend finden Sie ein Beispiel, wie Sie die Eltern Ihrer Schüler zu einem Elternabend einladen können:

 
 

Einladung zum Elternabend 1)

Betrifft: Informationsabend zu Sexuellem Missbrauch an Mädchen und Buben

Liebe Eltern!

In Österreich werden jährlich mindestens 10.000 Kinder sexuell missbraucht. Die überwiegende Mehrzahl davon sind Mädchen.

Wir gehen davon aus, dass Sie mit uns darüber übereinstimmen, dass ein Schutz der Kinder vor sexuellem Missbrauch dringend nötig ist. Sinnvolle Vorbeugung erweist sich jedoch oft als schwierig; nur in ganz wenigen Fällen ist der Täter der böse Unbekannte von der Straße, der ein Kind mit Eis oder Videospielen lockt. Es ist eher ein unauffälliger Bekannter aus der Nachbarschaft, aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis.

Um Sie ausführlich darüber zu informieren und Gelegenheit für Ihre Fragen zu bieten, haben wir Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle .... eingeladen, gemeinsam mit uns einen Elternabend durchzuführen. Neben grundlegenden Informationen möchten wir den Eltern Möglichkeiten aufzeigen, wie von ihnen durch die Erziehung der Kinder im Alltag dazu beigetragen werden kann, sie vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

Wir würden und freuen, Sie am .... in ..... begrüßen zu können und bitten Sie, die beiliegende Anmeldung ausgefüllt Ihrer Tochter / Ihrem Sohn bis .... mitzugeben oder an die Direktion zu schicken. Die Veranstaltung wird voraussichtlich ...... Stunden dauern.

 

Mit freundlichen Grüßen

 


Ich nehme am Elternabend am ....... teil / nicht teil.

 

Datum, Unterschrift

 

 

1) In Anlehnung an BRAECKER/WIRTZ-WEINRICH 1991

Referat: Dortmund, 7. November 1995, 15.30 Uhr


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